Blinde Flecken und das Potenzial zur Selbst-Entwicklung

Wie können wir blinde Flecken als Potenzial sehen und zur Selbst-Entwicklung nutzen? Das Johari-Fenster visualisiert das Potenzial.

Beitrag von Volkmar Langer

Potenzialentfalter, Coach, Ideen- und Impulsgeber der LCC, liebt den überraschenden Perspektivwechsel. Sein Motto: "Wenn nicht jetzt, wann dann?"
Lesedauer 4 Minuten

„Das mag ja in den Konzernen so sein. Bei uns ist das nicht so. Wir sind…“, höre ich immer wieder, wenn wir auf die Ergebnisse der Gallup Engagement Studien zu sprechen kommen. Wenn wir dann noch darüber sprechen, wann in diesen Unternehmen bezüglich Arbeitsumfeld und Führung das letzte Mal aktiv Feedback eingeholt wurde, erinnert man sich nicht mehr so genau. „Wir sind als Great Place to Work ausgezeichnet…“, lautet oft die ausweichende Antwort.

Bei den folgenden Fragen geht es um genaues Hinschauen: „Wie schätzt Du selbst Deine Selbstführungsqualitäten ein? Glaubst Du, dass Du eine gute Führungspersönlichkeit bist? Hast Du in deiner beruflichen Laufbahn schon mal eine schlechte Führungskraft gehabt? Und wie gehst du mit deinen blinden Flecken um? Wie können wir unsere blinden Flecken für unsere Selbst-Entwicklung nutzen?“

Eine Frage der Wahrnehmung – Ursachen fehlender emotionaler Bindung?

Über die jährlich publizierten Ergebnisse der Gallup Engagement Studie habe ich bereits ausführlich in einem meiner vorherigen Blogbeiträge berichtet. Aus Sicht von Gallup ist Engagement im Wesentlichen eine lokale Angelegenheit, bei der die Führungskräfte den größten Einfluss auf das Teamengagement haben.

Gallup hat ebenso Führungskräfte befragt, ob sie glauben, eine gute Führungskraft zu sein:

Gallup Studien - Führungskräfte Selbsteinschätzung
Danach ist in der Selbsteinschätzung fast jede befragte Person der Meinung, eine gute Führungskraft zu sein. Gallup fragt denselben Personenkreis im Sinne einer Fremdeinschätzung, ob sie schon mal eine schlechte Führungskraft hatten.
Gallup Studien - Führungskräfte Fremdeinschätzung

In der der Fremdeinschätzung sagen fast 70% der Befragten, dass sie schon mal eine schlechte Führungskraft in ihrer beruflichen Laufbahn hatten. Ohne im Detail vertiefende statische Auswertungen zu bemühen, können wir einen deutlichen Unterschied zwischen der Selbst- und der Fremdeinschätzung erkennen. Woran liegt das?

Blinde Flecken in der Selbst-Wahrnehmung – Johari-Fenster

Die Ergebnisse der Gallup Studie bestätigen eine Tatsache, die lange bekannt ist und allzu häufig in Vergessenheit gerät: Die Selbst-Wahrnehmung kann sich grundsätzlich erheblich von der Fremdwahrnehmung unterscheiden (vgl. J. Luft und H. Ingham).

Die beiden amerikanischen Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingham entwickelten im Jahre 1955 das nach ihnen benannte Johari-Kommunikationsmodell. Zweck war es, innerhalb von Gruppen oder Teams Stärken und Schwächen zu erkennen und deren Verständigung zu verbessern.

Wer selbst mehr Kenntnisse über seine unbewussten Gewohnheiten und Verhaltensmuster erlangt, der weiß, wie er auf andere Menschen wirkt und kann seine zwischenmenschlichen Beziehungen selbst verbessern.

Johari Fenster stellt Selbst- und Fremdeinschätzung gegenüber

Das Modell dient dem Abgleich von Selbst- und Fremdwahrnehmung. Dazu werden vier Felder genutzt. In „Öffentliche Person“ stehen die Charaktereigenschaften, die einem selbst und der Öffentlichkeit bekannt sind. Der „blinde Fleck“ umfasst die Eigenschaften, die eine Person unbewusst ausstrahlt, also nicht selbst wahrnimmt.

Der „geheime Bereich“ meint Eigenschaften, die eine Person bewusst für sich behält und die sonst keiner kennt. „Unbekanntes“ sind alle Eigenschaften und Merkmale, die man selbst nicht kennt, und die auch anderen verborgen bleiben. Dabei kann es sich um Talente und Begabungen handeln, die man fördern könnte.

Die Autoren sahen das Ziel ihres Modells darin, durch hinreichendes gegenseitiges Feedback den gemeinsamen Handlungsspielraum transparenter zu gestalten.

Pick-up Feedback für Führungspersönlichkeiten

Wir selbst sind für unsere berufliche und persönliche Entwicklung verantwortlich, deshalb sollten wir selbst auch für unser Feedback sorgen. Also nehmen wir doch mal die umgekehrte Perspektive ein: Feedback einholen, statt Feedback geben!

Eigenverantwortung und Selbst-Führung sind gute Gründe, weswegen wir selbst als Führungspersönlichkeit Impulse für eine Kultur des Pick-up Feedbacks geben und damit starten sollten (vgl. T. Föhr).

Das Johari-Fenster können wir für das Einholen von konstruktivem Feedback für uns und unsere Teams auf einfache Weise nutzen. Aus einer Liste von „Johari Adjektiven“ können die beteiligten Personen jeweils 5 Adjektive aussuchen, die die Person selbst und die die anderen Personen beschreiben (Anleitung mit Johari Adjektiven zum Download).

Je mehr eine Person über ihre Wirkung auf andere weiß, desto einfacher gelingt ihr die Kommunikation mit den Kolleginnen und Kollegen. Sie wirkt authentischer!

Wer tiefer in seine Wirkung auf andere eintauchen möchte, kann regelmäßig Tools zu persönlicher Diagnostik einsetzen. Wir haben mit unseren Partnern von DNLA und ValCom sehr gute Erfahrungen gemacht. Bei beiden Tools ist für die unterschiedlichen Bereiche (Soziale Kompetenz, Führung, Teampotenziale usw.) auch eine Fremdeinschätzung möglich. Damit wird das Potenzial zum Heben verborgener Potenziale (blinde Flecken, unbekannter Bereich) deutlich verbessert.

Fazit

Wir dürfen uns bei der täglichen Zusammenarbeit immer wieder bewusst machen, dass Selbst- und Fremdwahrnehmung völlig unterschiedlich ausfallen können. Gerade „blinde Flecken“ bieten eine Menge Potenzial für unsere Selbst-Entwicklung.

Wer sich über seine Wirkung bewusster werden will, kann die Johari-Methode anwenden und mit seinem Umfeld alle Stärken und Schwächen erörtern. Wohlwollendes Feedback gehört heutzutage zu einem funktionierenden Berufsfeld und zwischenmenschlichen Beziehungen dazu. Das Johari-Modell ist die einfachste Art, an ehrliches Feedback zu kommen und seine Persönlichkeit in eine positive Richtung zu verändern.

Bei Personaldiagnostik-Tools können wir neben der Selbsteinschätzung eine Fremdbewertung für unsere Selbst-Entwicklung nutzen. Gerade die Abweichungen in den Bewertungen bieten für uns Potenzial zur Selbstentwicklung – einzig unsere Initiative und unser Mut sind entscheidend!

Quellen

J. Luft, H. Ingham: The Johari window, a graphic model of interpersonal awareness. In: Proceedings of the western training laboratory in group development, Los Angeles: UCLA, 1955.

M. Nink und P. Sinyan: 2 Decades of Low Engagement: How Germany Can Turn It around, Gallup Workplace Study, Blogbeitrag, zuletzt aufgerufen: 2021-10-25.

T. Föhr: Pick-up Feedback für Führungskräfte, Wissen und Methoden für eine eigenverantwortliche Feedback- und Lernkultur, managerSeminare Verlags GmbH, 2021.

Bildquellen Zitathintergrund Canva Pro, Bilder von Volkmar Langer und Getty Images

 

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